Schuldgefühle – wir kennen sie alle nur zu gut aus eigener Erfahrung. Es gibt wohl kaum eine Lebenssituation, in der sie sich nicht in uns breit machen können, so breit, dass sie zu viel Raum brauchen und uns die Luft zum Atmen und damit die Unbeschwertheit nehmen. Schuldgefühle sind untrennbar mit zwei moralischen Instanzen in uns verknüpft: Pflichtgefühl und Gewissen. „Du sollst...!“ bzw. „Ich sollte...!“ sind Worte, die den Weg für Schuldgefühle ebnen. Ein amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut sprach einmal in diesem Zusammenhang sehr treffend von exzessiver Must-urbation. Kommt man diesen Soll-Imperativen nicht nach, sind die Konsequenzen Gewissensbisse, nagende Selbstzweifel und Angst bis hin zur Panik – kurzum: eine drastische Einschränkung der Lebensqualität. Muss das sein? Nein. Kann man erfolgreich daran arbeiten? Ja.
Wo Schuldgefühle gerne auftauchen
Es gehört zu den leidvolleren Erfahrungen des Lebens, dass wir immer wieder von Schuldgefühlen geplagt werden. Der erste Schritt für mehr Klarheit ist herauszufinden, in welchen Situationen sie entstehen können – situative Minenfelder sozusagen, die ihren Schrecken schon dadurch etwas einbüßen, dass man um sie Bescheid weiß. Im Folgenden drei typische Szenarien:
Schuldgefühle in einer Paar-Beziehung
Gerade wenn eine Beziehung schon länger besteht, kann es passieren, dass man seinem Partner nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit schenkt, wie noch zu Beginn. Dieser Mangel an Aufmerksamkeit kann sich in vielen Situationen zeigen. Man lässt sich beispielsweise zu sehr von seiner Arbeit vereinnahmen. Oder man geht eigenen Hobbies nach und verbringt mehr Zeit mit sich selbst oder mit anderen als mit seinem Partner. Oder – worst case – man verliebt sich in jemand anderen bzw. beginnt eine Affäre. Unzufriedenheit ist vorprogrammiert, das führt zu Vorwürfen seitens des Partners, aber auch zu Selbstvorwürfen, und die wiederum sehr häufig zu Schuldgefühlen.
Auch dann, wenn man sich gerade in der Trennungsphase befindet oder eine Beziehung bereits beendet wurde, können Schuldgefühle aufkommen. Man hinterfragt beispielsweise, warum man nicht häufiger geredet hat, weshalb in der Beziehung am Ende nicht mehr alles rund lief und wieso eine früher so harmonisch gewesene Partnerschaft zerbricht.
Schuldgefühle in der Familie
Die Familie begleitet einen meist ein ganzes Leben lang. Das kann ein Segen sein – aber manchmal auch ein Fluch. Je nachdem wie das Kommunikationsverhalten in einer Familie ist, werden brisante Themen mehr oder weniger gut besprochen und aufgearbeitet. Oft wird nicht genug aufgearbeitet, Konflikte stauen sich auf und der zu überwindende Berg wird mit der Zeit immer größer. Gegenseitige Schuldzuweisungen passieren leider allzu leicht und dies kann zu Schuldgefühlen führen.
Ein spezielles Thema in diesem Zusammenhang sind die Generationenkonflikte. Eltern und Kinder (hier besonders schon im Erwachsenenalter) machen sich gerne gegenseitig ein schlechtes Gewissen. Mangelnde Fürsorge, autoritäres Verhalten, nachteilige Entfaltungsmöglichkeiten sind typische Themen, die das Miteinander erschweren.
Schuldgefühle in der Kindheit
Die ersten Schuldgefühle überhaupt erleben wir in unserer Kindheit. Sie sind allerdings nicht angeboren (siehe weiter unten) sondern anerzogen. Das Kind lernt sehr schnell was man tun darf und was nicht. Wenn es gegen ein Verbot oder Gebot verstößt, entsteht Schuld, die durch Abmahnung und Bestrafung noch befeuert wird. Erschwerend kommt hinzu, dass Kinder ohnehin glauben, dass alles was auf der Welt passiert, mit ihnen zu tun hat. Sie neigen also zum „Schuld-auf-sich-nehmen“, können diese Bürde aber noch weniger tragen als ein Erwachsener. (Früh-)kindliche Traumata sind damit vorprogrammiert – und die können sich als lebenslange Schuldgefühle manifestieren.
Eltern, Kirche, Staat – die Ursachen für Schuldgefühle.
Anders als Angst, Wut oder Traurigkeit, die primäre Emotionen sind, ist Schuld eine sekundäre Emotion, die also erst mit dem wachsenden Verständnis sozialer und moralischer Normen entsteht. Die Pflicht bzw. das Pflichtgefühl, die Erwartungshaltung, das „Richtige“ zu denken und zu tun – all das spielt in allen drei Instanzen Eltern, Kirche und Staat eine zentrale Rolle. Den Eltern kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Denn sie sind es, die das Kind vom ersten Moment an prägen und sie sind es, die für die anderen beiden Instanzen Staat und Kirche eine Multiplikatorfunktion übernehmen. Heißt: Wertehaltungen von Staat und Kirche werden über die Eltern an die Kinder weitergegeben.
Eltern vermitteln leider oft folgende Botschaften: „Wenn du nicht tust, was wir wollen, mögen wir dich nicht“. „Wir fühlen uns schlecht und du bist schuld daran“. „Wir lieben dich nur, wenn du dich nach unseren Vorstellungen verhältst“.
Unsere Eltern müssen diese Botschaft nicht einmal mit Worten auszudrücken. Es genügt, wenn Papa uns nicht mehr beachtet, Mama nur noch das Nötigste mit uns spricht, mit Leidensmiene umherläuft, uns tadelnde Blicke zuwirft, die Stirn runzelt, uns keinen Gute-Nacht-Kuss gibt oder Papa sich ans Herz fasst, weil er vor Aufregung keine Luft bekommt. Für nonverbale Signale wie Mimik, Gestik, Blickkontakt, Körperhaltung und den Stimmklang sind wir als Kinder sehr empfänglich.
Wann immer wir uns abgelehnt fühlen oder bei anderen uns wichtigen Menschen eine negative Reaktion sehen, entsteht in uns der Eindruck, etwas verkehrt gemacht zu haben. So lernen wir schließlich, aus Angst vor der negativen Reaktion der Erwachsenen gar nicht mehr zu tun, was wir uns so sehr wünschen, oder uns zumindest mit Schuldgefühlen zu bestrafen, wenn wir es dennoch tun. Kinder lernen diese Lektion sehr rasch. Wir lernen: Tue ich etwas Schlechtes oder Verbotenes, dann bin ich ein schlechter und nicht liebenswerter Mensch und muss mich dafür verurteilen und schämen.
Wie können wir uns von Schuldgefühlen lösen?
Tipp 1: Am Punkt bleiben und daraus lernen.
Oft neigen wir dazu, ein Fehlverhalten größer zu machen. Anstatt es auf eine ganz spezifische Situation oder ein spezifisches Verhalten einzugrenzen, weiten wir es auf unsere ganze Persönlichkeit aus und stellen diese darüber hinaus in Frage. Fehler sind menschlich, sie passieren nun einmal. Deshalb kann man ganz gelassen die Verantwortung dafür übernehmen und versuchen, es nächstes Mal besser zu machen. Und wenn es nächstes Mal nicht klappt, dann eben das übernächste Mal.
Tipp 2: Sein Bestes geben und es nicht bereuen.
Sie kennen das bestimmt: Jahre später denken Sie an eine Situation zurück und ärgern sich oder sind beschämt. „Wie konnte ich das damals nur tun!“ lautet so ein Standard-Selbstvorwurf, der aufgrund von Schuldgefühlen entstanden ist. Wichtig ist: die meisten Entscheidungen, die wir treffen, treffen wir mit bestem Wissen und Gewissen – im jeweiligen Zeitpunkt! Im Laufe der Zeit mögen sich vielleicht Rahmenbedingungen ändern, die dazu führen, dass man im Nachhinein Dinge anders bewertet. Im Zeitpunkt selbst aber hat man das Bestmögliche getan. Mit dieser Haltung vermeidet man zeitversetzte Schuldgefühle, die umso unnötiger sind, als dass man das Vergangene ohnehin nicht mehr ändern kann. „Alles nach dem Bestmöglichen zum jetzigen Zeitpunkt“ zu tun lautet die Erfolgsdevise!
Tipp 3: Hinterfragen hilft.
Trauen Sie sich, Dinge zu hinterfragen. Anordnungen, Meinungen oder Wertesysteme anderer zum Beispiel, die Sie bisher als Ergebnis der absoluten Wahrheit gesehen haben. Schuldgefühle werden nämlich gerne eingeimpft, schon in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung, sodass man sich gar nicht darüber bewusst ist. Das Hinterfragen erhöht Ihr Gefühl der Selbstbestimmung. Sie werden in vielen Dingen selbst zur Entscheidungsinstanz, zum Maßstab ihres Handelns. Fehler werden Sie trotzdem noch machen, aber: sie passieren aufgrund IHRER Entscheidungen und SIE haben es auch in der Hand, diese Fehler zu korrigieren. Und damit sind Sie auf dem besten Weg, nachhaltige Schuldgefühle gar nicht erst entstehen zu lassen.
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